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Neue Studie: Zusammenhänge von Job und Krankheit bei älteren Beschäftigten

Beschäftigte in Deutschland sollen künftig bis 67 arbeiten. Doch bereits in der Altersgruppe zwischen 45 und 65 werden viele Menschen durch die Belastungen im Job krank, zeigt die internationale Forschung.

Die gute Nachricht für ältere Beschäftigte nehmen Johannes Siegrist und Nico Dragano gleich vorweg: Wer einen dauerhaften Job hat, ist im Schnitt gesünder als ein langzeitarbeitsloser Mensch, so der Professor für Medizinsoziologie an der Universität Düsseldorf und sein Mitarbeiter. Doch zugleich konstatieren die Wissenschaftler "eine ausgeprägte Krankheitslast in der erwerbstätigen beziehungsweise erwerbsfähigen Bevölkerung". Und die wächst "insbesondere in der Spanne zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr" deutlich. So erleiden beispielsweise Männer zwischen 50 und 59 Jahren dreimal häufiger einen Herzinfarkt als in der Gruppe von 40 bis 49.

Welchen Anteil an diesen Risiken haben Belastungen aus dem Arbeitsleben, was beruht auf "normalen" Alterseffekten? Wo helfen bessere Arbeitsbedingungen? Um das zu ermitteln, haben die Forscher im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zahlreiche internationale Studien ausgewertet.* Dabei konzentrieren sie sich auf weit verbreitete Leiden, die auch den größten Teil der Frühverrentungen verursachen: Muskel- und Skeletterkrankungen, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselleiden sowie psychische Störungen, etwa Depressionen. Die Wissenschaftler stellen hohe Anforderungen an die Methodik: Berücksichtigt wurden Langzeitstudien, die verzerrende Faktoren statistisch kontrollieren, etwa arbeitsunabhängige Alterseffekte oder gesundheitsschädigendes Verhalten. In der Zusammenschau attestieren die Autoren, problematische Arbeitsbedingungen hätten "durchgehend signifikante Effekte" auf die Häufigkeit von Erkrankungen bei älteren Beschäftigten und die Wahrscheinlichkeit einer Frühverrentung. Die wichtigsten Risiken:

Körperliche Belastungen. Lärm, schmerzhafte Körperhaltungen, Kontakt mit Gefahrstoffen - solche Arbeitsbedingungen sind in der EU noch weit verbreitet. Auch Computerarbeit belastet den Körper durch ständig wiederholte Bewegungen oder Bewegungsmangel. Die Folgen sind breit gefächert: Studien weisen bei Beschäftigten, die länger als fünf Jahre starkem Lärm ausgesetzt sind, erhöhte Blutdruckwerte nach. Arbeitnehmer, die täglich mehr als 15 Mal eine Last über 25 Kilogramm heben müssen, tragen ein deutlich erhöhtes Risiko, länger als sieben Tage krankgeschrieben zu werden. Wer im Job dauernd sitzt und in der Freizeit keinen Bewegungs-Ausgleich schafft, muss nach zehn Jahren mit einer um 90 Prozent erhöhten Herzinfarktgefahr leben. Und wer mehr als drei Viertel seines Arbeitstages den Computer benutzt, verdreifacht das Risiko, dass Nacken, Schulter oder Hand schmerzen.

Schichtarbeit und extrem lange Arbeitszeiten. Etwa jeder fünfte jüngere Arbeitnehmer in der EU arbeitet in Schichtsystemen. In der Altersgruppe ab 55 sind es immerhin noch zehn Prozent. Knapp sechs Prozent der deutschen Beschäftigten müssen sich mit Mehrschicht- und Nachtarbeit arrangieren. Siegrist und Dragano referieren vier Studien, die Beschäftigten in Wechselschichtsystemen ein erhöhtes Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten attestieren. Je nach Untersuchung liegt es zwischen 30 und 180 Prozent höher als bei Beschäftigten mit Normalarbeitszeit. Drei andere Studien erkennen zwar keinen Zusammenhang - zwei davon hätten aber methodische Defizite, so die Forscher. Auch zu den Wirkungen extrem langer Arbeitszeiten gibt es einzelne Befunde: Wer täglich mehr als elf Stunden arbeitet oder jahrelang viele Überstunden macht, lebt mit deutlich höheren Risiken für Herzinfarkte oder Diabetes.

Warum Schichtarbeit und lange Arbeitstage krank machen können, sei noch nicht eindeutig geklärt. Jedoch scheinen "eine verringerte psychophysische Regenerationsfähigkeit und gestörter oder verkürzter Schlaf" eine Rolle zu spielen.

Psychosoziale Arbeitsbelastungen. Wissenschaftler haben mehrere Modelle konstruiert, um solche Belastungen von "normalem" Stress abzugrenzen. Das "Anforderungs-Kontroll-Modell" erfasst Berufstätige, an die hohe Anforderungen gestellt werden, ohne dass sie entsprechende Entscheidungsmöglichkeiten hätten. Das "Modell beruflicher Gratifikationskrisen" berücksichtigt Stresserfahrungen von Beschäftigten, die für ihre geleistete Arbeit keine angemessene Belohnung in Form von Gehalt, Anerkennung, Aufstiegschancen oder Arbeitsplatzsicherheit erhalten. Auf der Basis deutscher und europäischer Untersuchungen gehen Siegrist und Dragano davon aus, dass im Schnitt etwa 20 Prozent der Beschäftigten psychosozial belastet sind - mit deutlich höheren Werten in Branchen wie der Land- und Forstwirtschaft, der Metallerzeugung, dem Kraftfahrzeughandel oder bei personenbezogenen Dienstleistungen, etwa im Gesundheitswesen. Und: Wer im Job psychosozialem Druck ausgesetzt ist, kann schon deswegen krank werden. Besonders gefährlich ist aber die Kombination von körperlichen und psychosozialen Belastungen.

Um die gesundheitlichen Konsequenzen genauer abschätzen zu können, haben die Düsseldorfer mehr als ein Dutzend Forschungsarbeiten herangezogen. Ergebnis: Würde Dauerstress im Arbeitsleben konsequent vorgebeugt, könnten theoretisch etwa ein Viertel der bei Erwerbstätigen neu auftretenden Depressionen und etwa ein Fünftel aller koronaren Herzkrankheiten vermieden werden.

Die Zahlen sind hypothetisch, aber sie machen deutlich: Mit dem Ist-Zustand können weder Beschäftigte noch Unternehmen oder die Solidargemeinschaft zufrieden sein: "Um Gesundheit und Arbeitsfähigkeit älterer Beschäftigter in möglichst großem Umfang bis zum Erreichen der Altersgrenze zu erhalten, sind weitreichende Investitionen in gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen erforderlich", schreiben Siegrist und Dragano - "über das herkömmliche Spektrum von Arbeitsschutzbestimmungen und betrieblicher Gesundheitsförderung hinaus". Viele Unternehmen müssten sich stark verändern. Und neben den einzelnen Firmen wären auch die Tarifpartner gefragt. Immerhin: "Erste betriebswirtschaftliche Analysen zeigen, dass der mittel- bis langfristige 'return on investment' einer konsequenten betrieblichen Gesundheitspolitik beträchtlich zu sein scheint." Vier Punkte sind nach Analyse der Forscher besonders wichtig:

Schwerpunkte setzen: Starke Belastungen, vor allem physische und psychosoziale Doppelllasten, müssen identifiziert werden, um stark betroffenen Arbeitnehmern rasch helfen zu können. "Dies betrifft beispielsweise ältere Beschäftigte mit Stressbelastung und mehrjähriger Schichtarbeit." Dazu könnten auf Betriebsebene etwa anonymisierte betriebsärztliche Daten verwendet werden. Ein weiteres Instrument wären Mitarbeiterbefragungen. Allerdings mangele es oft an der Kompetenz, solche Belastungen zu diagnostizieren.

Arbeitsschutz ausbauen: Der deutsche Arbeitsschutz hat ein vergleichsweise hohes Niveau. Aber gerade in kleinen und mittleren Unternehmen würden komplexere Maßnahmen oft nicht konsequent umgesetzt, so Siegrist und Dragano. Dazu zählen sie unter anderem Entspannungs- und Hebeübungen, angemessene Beleuchtung oder gutes Softwaredesign bei Bildschirmarbeitsplätzen. Besonderen Bedarf sehen sie beim Arbeitsschutz für mobile Berufsgruppen wie Kraftfahrer oder Außendienstmitarbeiter sowie bei Leih- und Saisonarbeitern.

Gesundheitsförderliche Arbeitsorganisation: Dazu zählen beispielsweise Teamarbeit oder Job-Rotation. Diese kann vor allem Berufsgruppen mit besonders belastenden Tätigkeiten helfen, etwa im Bau- oder Transportgewerbe oder in der Alten- und Krankenpflege. Wichtig, gerade für ältere Beschäftigte, ist auch die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit mitzugestalten.

Personalentwicklung, Laufbahngestaltung, Führungsverhalten: Derzeit ist die Weiterbildungsquote bei älteren Beschäftigten besonders niedrig. Ein unhaltbarer Zustand, so die Forscher. Sie plädieren für eine "bessere Abstimmung von Weiterbildungsangeboten und Personaleinsatzstrategien" und für "altersadäquate Positionswechsel" - etwa vom Gruppenakkord auf einen Einzelarbeitsplatz. Studien aus Schweden, Kanada und Finnland belegen, dass ein Führungsstil, der die Leistung der Beschäftigten angemessen würdigt, den Gesundheitszustand sehr positiv beeinflusst. Das gilt besonders bei älteren Arbeitnehmern, aber längst nicht nur bei ihnen.

Belastungen im Arbeitsprozess in Europa

Quelle:

Böckler Impuls 14/2007

Der gesamte Artikel zum Download bei der Hans Böckler Stiftung  (PDF, 98 KB)).

Autoren und Titeel der Studie:

Johannes Siegrist, Nico Dragano: Rente mit 67 - Probleme und Herausforderungen aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht, Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, Juni 2007.

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